Wenn in Deutschland die Vogelgrippe ausbricht, folgt ein bekanntes Muster: Betriebe werden gesperrt, Tiere getötet, Entschädigungen fließen. In der öffentlichen Debatte ist dann schnell von „Seuchenschutz“ die Rede. Klar ist jedoch: Deutschlands Landwirte sind nicht Verursacher, sondern Betroffene eines globalen Problems; Prävention muss dort beginnen, wo neue Virusstämme entstehen.
Statt Verantwortung an den Ursachen zu übernehmen, greift Europa häufig am Ende der Kette ein – dann, wenn es für präventive Maßnahmen zu spät ist. Dieser Blick auf Symptome statt Ursachen zementiert einen jährlichen Krisenrhythmus.
Wo der Ursprung liegt – und warum das entscheidend ist
Vogelgrippe‑Viren entstehen bevorzugt in Regionen, in denen Geflügelhaltung, Tierhandel und Wildtierpopulationen eng aufeinandertreffen. Auf lokalen Geflügelmärkten, etwa in Teilen Chinas, Vietnams oder Indonesiens, kommen verschiedene Arten auf engem Raum zusammen; Hygiene und veterinärmedizinische Kontrolle sind dort uneinheitlich. Das begünstigt die Entstehung und Weitergabe neuer Varianten.
Beispiel: Laut WHO und WOAH wurden 2021–2023 in den Provinzen Guangdong (China) und auf Java (Indonesien) wiederholt H5N1‑ und H7N9‑Varianten nachgewiesen, die entlang zentralasiatischer Zugrouten bis nach Europa gelangten. Nicht alle Herkunftsländer sind gleich – Maßnahmen müssen risikobasiert erfolgen.
Zugvögel tragen solche Virusstämme über tausende Kilometer. Europa ist selten der Ursprung, sondern häufig Ziel dieser Migrationswege. Landwirte hierzulande sind damit Empfänger globaler Dynamiken – nicht deren Ursache.
Fehlende Impfstrategien an den richtigen Stellen
Während in Deutschland vor allem gekeult wird, könnten frühe, lokal verankerte Impfprogramme an den Ursprungsorten Ausbreitungen spürbar reduzieren. Dennoch wird diese Debatte von Politik und NGOs selten systematisch geführt. Stattdessen konzentriert man sich auf nationale Symbolpolitik – die globalen Hebel bleiben ungenutzt.
Internationale Programme kosten Geld, benötigen Infrastruktur und Kooperation. Langfristig wären sie jedoch günstiger – und ethisch tragfähiger – als das massenhafte Töten gesunder Tiere in europäischen Ställen.
Wie praktikable Impfprogramme aussehen könnten
- Pilotregionen definieren: Hotspots entlang relevanter Zugrouten priorisieren (z. B. Süd‑ und Ostasien)
- Finanzierung bündeln: EU‑Mittel mit FAO/WOAH/Gavi‑Programmen koppeln; Co‑Finanzierung mit betroffenen Drittstaaten
- Monitoring & Handel absichern: Rückverfolgbarkeit, serologische Überwachung, klare Zertifizierung zur Wahrung des Handelsstatus
Die Keulung – ein teurer und belastender Notmechanismus
Rechtlicher Hintergrund: Die Keulung ist in der EU durch das EU Animal Health Law (Verordnung (EU) 2016/429) sowie nationale Tierseuchenverordnungen vorgegeben. Nach amtlicher Bestätigung eines Ausbruchs sind Betriebe verpflichtet, die behördlichen Maßnahmen umzusetzen.
Im bestätigten Ausbruch greifen derzeit kaum Alternativen: Bestände werden getötet, Betriebe heruntergefahren, Schäden teilweise entschädigt. Das belastet Tiere wie Menschen – emotional und wirtschaftlich – und trifft insbesondere landwirtschaftliche Familienbetriebe hart.
Gleichzeitig entsteht in der Öffentlichkeit oft der falsche Eindruck, Landwirte seien Treiber des Problems. Tatsächlich handeln sie im Rechtsrahmen und tragen die Last einer global verursachten Krise.
Warum kaum jemand über Ursachen spricht
Internationale Impfprogramme sind komplex, aber langfristig günstiger als permanentes Krisenmanagement. Gleichzeitig dominieren in der öffentlichen Wahrnehmung Bilder aus deutschen Ställen, während die Märkte in Hotspot‑Regionen unsichtbar bleiben. Viele NGOs konzentrieren sich auf nationale Kampagnen, wodurch globale Verantwortlichkeiten kaum thematisiert werden. Zudem bevorzugt die Politik kurzfristig sichtbare Maßnahmen gegenüber nachhaltiger Prävention. So entsteht ein Kreislauf aus Ausbruch, Keulung und Entschädigung – jedes Jahr aufs Neue.
Was jetzt passieren muss
Um die wiederkehrenden Krisen zu durchbrechen, braucht es ein Umdenken. Internationale Impfprogramme sollten gezielt in bekannten Ursprungsregionen gefördert und die veterinärmedizinische Infrastruktur dort langfristig aufgebaut werden. Gleichzeitig müssen Landwirte in Europa als Partner anerkannt werden, anstatt sie als Verursacher darzustellen. NGOs und politische Entscheidungsträger sollten globale Zusammenhänge berücksichtigen und ihre Strategien entsprechend erweitern.
- Internationale Impfprogramme fördern – prioritär in bekannten Ursprungsregionen.
- Veterinärinfrastruktur in Herkunftsländern aufbauen – dauerhaft, nicht projektweise.
- Landwirte als Partner anerkennen – nicht als Sündenböcke einer globalen Dynamik.
- NGOs und Politik global in die Pflicht nehmen – nationale Debatten um wirksame Auslandskomponenten erweitern.
Nur wenn Ursachen adressiert statt Symptome verwaltet werden, lässt sich der Krisenrhythmus durchbrechen.
Fazit
Die Vogelgrippe ist kein regionales Versagen, sondern ein globales Risiko mit lokalen Folgen. Fehlende Hygiene‑ und Impfstandards in Hotspot‑Regionen, kombiniert mit internationalen Zugrouten, treffen in Europa auf streng regelgebundene Notmaßnahmen.
Solange vor allem in Europa gekeult wird, während an Ursprungsorten keine systematische Prävention stattfindet, bleibt alles beim Alten – für die Tiere und für die Menschen, die Verantwortung tragen. Echte Lösung beginnt dort, wo neue Virusstämme entstehen, und sie braucht internationale Kooperation, nicht nationale Schuldzuweisungen.
Quellen
- Rundblick – https://rundblick-niedersachsen.de/das-massenhafte-keulen-von-tieren-wird-von-der-gesellschaft-nicht-mehr-akzeptiert
- WHO/WOAH: Berichte zu HPAI‑H5/H7 – https://www.woah.org/app/uploads/2025/07/25728-fao-woah-who-h5-assessment.pdf
- Politischer Rahmen: Verordnung (EU) 2016/429 – https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32016R0429
- GERATI – https://gerati.de/2025/10/29/vogelgrippe-massentierhaltung-ursache-oder-suendenbock-wsss/

